Häusliche GewaltWie fühlen sich Kinder und Jugendliche die häusliche Gewalt erleben?
Gewalt, die du beobachten musst, und Gewalt, die du selbst erlebst, hat immer negative Auswirkungen. Kinder und Jugendliche erleben die Gewalt gegen ihre Mütter direkt oder indirekt mit. Sie sehen, wie die Mutter geschlagen wird. Sie hören sie schreien. Sie spüren die Aggressionen und die Angst. Sie fühlen die bedrohliche Atmosphäre. Häufig aber werden sie auch selbst Opfer körperlicher oder/und seelischer Misshandlungen.
Manche reagieren darauf mit Schlafstörungen, Kopfschmerzen und Konzentrationsschwierigkeiten. Andere werden schnell wütend, sind oft traurig oder sehr sprunghaft in ihren Launen. Es gibt Kinder und Jugendliche, die kaum noch essen, weil sie so besorgt sind oder die anfangen, sich selbst zu verletzen, weil sie den Druck um sich herum nicht mehr ertragen. Viele verstecken ihren Kummer, weil ihnen die Situation zu Hause peinlich ist und sie nicht wollen, dass ihre Eltern Ärger bekommen. Solche Kinder fallen eher durch ihr Verhalten auf; sie klauen, lügen, schwänzen die Schule, nehmen Drogen, sind selbst gewalttätig. Hinter einem solchen Verhalten stecken nicht immer, aber oft eigene Gewalterfahrungen.
Du hast das absolute Recht, Misshandlungen nicht sehen, hören, fühlen und erleben zu müssen. Gewalt ist nie ok. Es gibt andere Möglichkeiten mit Wut und Enttäuschung umzugehen. Das kann jede/r lernen. Auch deine Eltern!
Es gibt Wege aus einem angstvollen Leben. Wir wollen dir zeigen, welche Möglichkeiten du hast, dich zu schützen und Hilfe zu bekommen.
Hallo Frau Roos. Sie sprechen ja oft mit Kindern und Jugendlichen die Gewalt zwischen den Erwachsenen zuhause erleben. Was erzählen die ihnen denn so?
Das ist ganz unterschiedlich. Viele Kinder berichten darüber, dass sie Zuhause Gewalt gesehen haben, also zum Beispiel: Wie der Vater die Mutter verletzt hat. Andere erzählen, dass sie im Nebenzimmer waren und es gehört haben. Es gibt auch Kinder die direkt von der Gewalt betroffen waren, dass heißt sie wurden vielleicht auch angeschrien, angepackt oder sogar geschlagen. Die Kinder erzählen auch, dass sie merken, da ist etwas komisch in der Luft, die Stimmung ist merkwürdig und wissen dann: OK, jetzt wird vielleicht bald was passieren. Die Kinder haben da sehr sehr gute Antennen für und spüren die Gewalt auch oft. Wichtig ist, dass egal ob die Kinder die Gewalt miterleben, in dem sie sie sehen oder sogar selber an sich erleben: Gewalt ist nie ok und die Erwachsenen sind dafür verantwortlich dafür, dass die Kinder ein Recht auf ein gewaltfreies Zuhause haben.
Und wie geht es den Kindern, wenn diese so etwas erleben?
Was alle Kinder gemeinsam haben, ist das sie Angst haben in der Situation. Sie haben Angst um die Mutter. Sie haben auch Angst um sich selber oder auch um die Geschwister. Manchmal hat man zum Beispiel jüngere Geschwister und dann muss man die beschützen und ist für die verantwortlich. Eine weitere Sache, die die Kinder und Jugendliche erzählen, ist, dass sie sich ohnmächtig in der Situation fühlen.
Das bedeutet, sie sind erstarrt, auch erstarrt vor Angst, und sie fühlen sich machtlos, hilflos, weil sie nichts tun können in der Situation. Eine letzte Sache, die viele viele Kinder erzählen, ist dass sie sich auch innerlich so zerrissen fühlen. Sie fühlen sich zwischen den Erwachsenen, so hin und her gerissen. Einerseits ist der Vater nett und verbringt Zeit mit ihnen, andererseits macht er so schlimme Sachen wie Gewalt gegen die Mutter zum Beispiel. Und auch mit der Mutter ist das so, einerseits hat man Angst um sie und sie ist einem wichtig, manchmal ist man aber auch sauer auf sie, weil sie sich selber und auch die Kinder und Jugendlichen nicht beschützt.
Können die Kinder denn weiter zur Schule gehen?
Viele Kinder können weiter zur Schule gehen, manche aber auch nicht, weil die Situation so schlimm ist Zuhause. Einige Kinder erzählen auch, dass wenn sie dann Zuhause oder in der Schule sind, sie sich nicht richtig gut konzentrieren können. Andere wiederum haben Schwierigkeiten mit dem Schlafen. Können zum Beispiel nicht einschlafen oder wachen mitten in der Nacht auf. Es gibt auch Kinder, die Probleme mit den Gefühlen haben. Zum Beispiel haben die auf einmal immer Angst in unterschiedlichen Situationen oder sie haben Schwierigkeiten mit der Wut und merken, sie werden viel schneller sauer als sonst. Es gibt ganz verschiedene Art und Weisen, wie die Kinder dann manchmal Schwierigkeiten haben.
Und wie geht es den Kindern dann, wenn sie ihnen davon erzählen?
Es ist so, dass es den Kindern eigentlich immer besser geht, wenn die darüber erzählen. Es tut nämlich richtig gut. Aber es braucht auch richtig viel Mut, weil sie Angst haben. Sie haben Angst, was passiert, wenn ich es jemandem erzählt habe. Vielleicht wurde es ihnen verboten und sie schämen sich auch, weil sie oft denken, sie sind alleine damit und das was ich erlebt habe, ist keinem anderen passiert und denken, dass sie vielleicht komisch sind. Deshalb fällt es schwer. Aber es geht ihnen immer besser und das ist ganz toll und richtig mutig, wenn man darüber reden kann.
Und was raten sie den Kindern und Jugendlichen?
Ich rate ihnen, darüber zu sprechen. Sich zum Beispiel erst mal eine Person zu überlegen mit der man darüber reden möchte. Eine einzige Person, der man vielleicht etwas vertraut, zum Beispiel ein Erzieher oder einer Erzieherin, ein Lehrer oder einer Lehrerin, denn das ist richtig erleichternd, wenn man darüber gesprochen hat. Erwachsene wissen, was zu tun ist und können helfen. Manchmal traut man sich aber nicht, direkt mit Erwachsenen darüber zu sprechen und dann kann man zum Beispiel auch einem Freund oder einer Freundin davon erzählen und zusammen dann den Mut fassen, darüber zu reden. Und ihr dürft euch Hilfe holen, das ist ganz wichtig und ihr seid auch nicht alleine damit, denn vielen Kindern passiert genau das, was auch euch passiert ist. Und eine Sache ist mir noch besonders wichtig, und zwar, dass die Kinder und ihr nicht verantwortlich dafür seid, für die Gewalt von den Eltern und den Erwachsenen. Auch wenn man das manchmal denkt, zum Beispiel ist der Papa sauer auf einen, weil man vielleicht nicht den Tisch aufgeräumt hat und irgendwann später kommt es dann zur Gewalt Zuhause. Und ich finde es ist ganz wichtig zu wissen, dass du da nicht für verantwortlich bist, sondern die Erwachsenen können und sollen und müssen Verantwortung für ihr Handeln übernehmen. Und sie sind sogar verantwortlich dafür, dafür dass das Zuhause ein sicherer Ort ist. Und deshalb seid ihr nicht schuld.