So holst du Hilfe!Azra ruft beim Jugendnotdienst an
Azra ist 14 Jahre alt und ist von zu Hause weggelaufen, weil ihr Vater betrunken war und ihre Mutter angegriffen hat. Jetzt ruft sie beim Jugendnotdienst an.
Die Vorgeschichte
Azra, 14 Jahre alt; ist vor zwei Tagen von zu Hause weggelaufen, weil ihr Vater betrunken war und ihre Mutter zum ersten Mal angegriffen hat. Als ihre Mutter sich weigerte, mit Azra die Wohnung zu verlassen, ist sie alleine raus. Sie hatte es schon lange satt, immer wieder mit ansehen zu müssen, wie ihr Vater ausrastet. Ihre Mutter und sie lebten in der ständigen Angst, dass er sie auch mal schlagen könnte. Nun war es passiert.
Zunächst hat Azra bei ihrer Freundin Lynn schlafen können. Heute hat deren Mutter mitbekommen, dass Azra von zu Hause weggerannt ist. Sie fordert sie auf, sofort ihre Wohnung zu verlassen. Und das, obwohl es schon 23 Uhr ist. Azra und Lynn verlassen zusammen das Haus. Azra ruft von einer Straßenecke in Neukölln den Jugendnotdienst an. Die Sozialarbeiterin Frau Berrak kommt an den Apparat.
Der Anruf
Azra: Hallo, ist da der Jugenddienst oder wie das heißt?
Ja, hier spricht Frau Berrak vom Jugendnotdienst. Was kann ich für dich tun?
Ich bin von zu Hause abgehauen und weiß nicht, wo ich hin soll.
Wie alt bist du denn und wie heißt du?
Ich heiße Azra und bin 14 Jahre alt. Aber hier ist noch meine Freundin Lynn bei mir. Die ist auch 14.
Hallo Azra. Ist Lynn auch von zu Hause weggelaufen?
Ja. Lynn will mich nicht alleine lassen. Ihre Mutter hat mich aus der Wohnung geworfen, da habe ich zwei Nächte geschlafen.
Und wo seid ihr jetzt?
An so einer Straßenecke.
Und nach Hause willst du nicht gehen?
Auf keinen Fall! Nach Hause gehe ich nicht! Da bleibe ich lieber auf der Straße!
OK. Langsam Azra, niemand will, dass du auf der Straße bleibst. Und niemand zwingt dich, nach Hause zurückzugehen, ohne zu wissen, was bei dir los ist. Du kannst erstmal hierher kommen und wir helfen dir dann gerne weiter.
Ruft ihr dann meine Eltern an?
Wenn du herkommst, wirst du erst mal beraten. Dann wissen wir, wie es dir geht und was du dir wünschst und bekommen eine Ahnung, wie wir dir helfen können. Du kannst dich natürlich auch erst mal anonym beraten lassen, ohne weitere Daten von dir anzugeben. Aber wenn es dabei bleibt, dass du nicht zurück nach Hause möchtest, dann müssen wir deine Eltern anrufen und informieren, dass du bei uns bist.
Sie haben nämlich ein Recht darauf, zu wissen, dass du in Sicherheit bist und sie sich keine Sorgen um dich machen müssen. Wir hören uns ihre Seite der Geschichte an und entscheiden dann, ob wir sie zu einem Gespräch einladen. Und klären mit dir zusammen, ob du daran teilnehmen willst oder nicht. Aber vielleicht ist das alles für heute Nacht auch zu viel und es bleibt nur beim Gespräch mit dir und einem Telefonat mit deinen Eltern. Wir werden sehen. Wärst du bereit, mit Lynn in den Jugendnotdienst zu kommen?
Ja, aber wie sollen wir da hinkommen? Ihr seid in Charlottenburg, nicht?
Du sagst mir gleich, wo ihr genau steht und ich schicke ein Taxi zu euch, das euch in den Jugendnotdienst bringt. Wir zahlen die Fahrt. Es ist uns wichtig, dass ihr nicht alleine durch die Nacht fahrt und sicher bei uns ankommt. Ok?
Ja, ok.
Und so ging es weiter
Lynn wird von Herrn Özkan und Azra von Frau Berrak beraten. Lynn ist nur von Zuhause weg, weil sie ihre Freundin nicht alleine lassen wollte. Nun möchte Lynn wieder nach Hause. Ihre Mutter ist erleichtert zu hören, dass sie im Jugendnotdienst ist und sofort bereit, sie abzuholen. Lynns Mutter wird bei der Abholung darauf hingewiesen, dass sie auch für fremde Kinder Verantwortung trägt. Sie hätte sich darum kümmern müssen, wohin Azra gehen kann, anstatt sie einfach nachts rauszuwerfen.
Azra öffnet sich im Gespräch mit Frau Berrak und erzählt unter Tränen, wie oft sie die aggressiven Ausbrüche ihres Vaters ertragen musste. Als er jetzt zum ersten Mal ihre Mutter geschlagen hat, wusste sie, dass eine Grenze überschritten worden war. Deshalb hat sie vor zwei Tagen die Flucht ergriffen. Sie glaubt, dass ihre Mutter bereit wäre, alles zu tun, damit es zu Hause besser wird. Sie kann sich nicht vorstellen, dass ihr Vater mit dem Trinken aufhört und seine Aggressionen in den Griff bekommt. Aber sie würde sich das sehr wünschen.
Sie möchte auf keinen Fall wieder nach Hause, ohne dass sich was geändert hat, und heute Nacht nicht mehr mit ihren Eltern reden oder sie sehen. Aufgrund der Uhrzeit und Azras Erschöpfung geht Frau Berrak auf diesen Wunsch ein. Sie informiert die Eltern telefonisch, dass Azra im Jugendnotdienst ist und bleibt und dass am nächsten Tag das Jugendamt eingeschaltet und ihren Bericht erhalten wird. Azras Mutter hatte sich große Sorgen um sie gemacht und ist erleichtert, dass sie im Jugendnotdienst ist. Sie räumt ein, dass ihr Mann seine Wut nicht immer kontrollieren kann und äußert, dass sie sich sehr wünscht, dass Azra bald wieder nach Hause kommt. Im Hintergrund ist der Vater zu hören, der nicht mehr nüchtern zu sein scheint.
Alle weiteren Schritte werden am Folgetag mit dem Jugendamt abgesprochen. Azra ist bis zur Klärung der weiteren Hilfe an einem sicheren Ort und bei Menschen, die sie schützen werden.